Der Islam im Spannungsfeld zwischen Toleranz und Gewalt – Annäherung und Abgrenzung zum Judentum und Christentum

Im Rahmen der Vortragsreihe des Emil-Frank-Instituts über Chancen und Schwierigkeiten eines interreligiösen Dialogs

Fast bis auf den letzten Platz belegt zeigte sich die Promotionsaula des Bischöflichen Priesterseminars Trier am Donnerstag, den 11.02.2016. Rund 200 Interessierte zog es zum Vortrag von Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster), was beweist, wie sehr diese sensible Thematik aktuell die Gemüter bewegt.

Zu Beginn leitete Prof. Khorchide gezielt mit einer kleinen Einführung zum eigentlichen Vortrag hin. So meinte er, dass Gewalt und Terror komplexe Phänomene seien. Es gäbe viele Ursachen, aber kaum Ansätze, die das Problem Gewalt und Terror in Gänze lösen würden. Global betrachtet, solle man sich nicht wundern, dass der Export von Gewalt und Krieg auch Gewalt und Krieg hervorbringe.

Ebenso führe der Faktor politische Instabilität zu einem Machtvakuum einschließlich Gewaltentladung (s. Nahostkonflikt). Desgleichen würden Politik und Wirtschaft nichtverhandelbare Werte, wie Nächstenliebe und Menschenrechte, relativieren. Folglich wäre es wünschenswert, wenn ein interreligiöser Dialog ebenfalls eine Wertedebatte beinhalte. Welche gemeinsamen Werte vertreten wir als Menschen? Welche Werte sind verhandelbar, welche nicht?

Im zweiten Teil des Vortrags wurde anhand verschiedener Suren die Bedeutung des Begriffes „Dschihad“ untersucht. In den Köpfen der heutigen Zeit habe sich festgesetzt, der „Dschihad“ sei ein heiliger bzw. religiös motivierter Krieg, um Nichtmuslime dem Zwang auszusetzen, den islamischen Glauben anzunehmen. Doch kann ein Krieg jemals heilig sein? Verlangt Allah/Gott dies? Welche Aussagen trifft der Koran?

Um die jeweiligen Suren interpretieren zu können, habe man zwischen den mekkanischen und den medinensischen Koranversen zu differenzieren. Denn die historischen Kontexte beider Phasen sind stark unterschiedlich. So bestand die Gesellschaft in Mekka aus vielen politischen Einheiten mit einer patriarchalischen Hierarchie. Häufig bestimmten Krieg, d. h. Konkurrenzkämpfe zwischen verschiedenen Stämmen, den Alltag der Menschen. Auch Aberglaube und Polytheismus waren stark verbreitet. Daher liegt der Schwerpunkt der koranischen Verkündigung den Dschihad betreffend in der mekkanischen Phase auf der Abschaffung hierarchischer Strukturen, der Entmachtung herrschender Stämme und der Abschaffung des Polytheismus. In der medinensischen Phase wurden, neben spirituellen und ethischen Aspekten, Gesetze und Regelungen vorgeschrieben, die das gesellschaftliche Leben regeln sollten.

So war ein Kampf erlaubt, um gegen Unrecht vorzugehen, Vertriebene in ihre rechtmäßigen Wohnstätten zurückzuführen sowie Synagogen, Kirchen, Gebetstätte und Moscheen zu schützen (Sure 22, Verse 39f.). Desgleichen diente der Dschihad auch der Bewahrung der Religionsfreiheit. Die Verse 190-192 der zweiten Sure und die Sure 8, Vers 61 sprechen sogar von Vergebung gegenüber den Feinden, sobald diese ihre Waffen niederlegen und einen friedlichen Ausgleich suchen. Kein Wort hingegen liest man bezüglich einer Zwangsmissionierung der von muslimischen Heeren besiegten Partei. Auch dem Propheten selbst obliegt lediglich die Ausrichtung bzw. Verkündigung der göttlichen Botschaft (Sure 3, Vers 20 und Sure 5, Vers 99). Der Koran lädt somit nicht zu Rache- und Gewaltakten oder religiösen Kriegen ein. Dies würde ehedem dem Willen Gottes entgegenstehen und widersprechen, denn „Friede“ ist einer der 99 Namen Allahs.

Laut Prof. Khorchide liegt nun die Gefahr in der missgedeuteten, d. h. entkontextualisierten und instrumentalisierten Interpretation einzelner Suren durch Fundamentalisten. Insbesondere die exklusivistische Position trägt den Kern zur Legitimierung von Gewalt in sich. Jene Position lehnt das andere gänzlich ab – spricht förmlich dem anderen die Existenzberechtigung ab. Der Nichtmuslim geht daher den falschen Weg, wofür ihn Gott als ungläubigen Menschen nicht nur mit einem körperlichen Tod bestraft, sondern ihn auch zu einem ewigen Tod in der Hölle verdammt. Der Exklusivismus zeichnet somit das Bild eines gewalttätigen und unbarmherzigen Gottes.

Dies jedoch steht in einem Widerspruch zu Sure 5, Vers 48, in der Gott jedem Menschen die Freiheit lässt, einen eigenen Weg zu ihm zu finden: „Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. […] So eilt zu den guten Dingen um die Wette. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren, dann wird Er euch kundtun, worüber ihr uneins waret.“ Der absolute Wahrheitsanspruch befindet sich demgemäß einzig und allein bei Gott. Folglich kann sich der Mensch der Wahrheit nur annähern, weshalb er zu Lebzeiten ein Fragender, ein Suchender in Demut bleibt. Auch die konfessionelle Vielfalt unter den Menschen ist nach besagter Sure gottgewollt und der Islam nicht der einzige Weg zur ewigen Glückseligkeit. Daher sollten vielmehr gerechtes Handeln, ein friedlicher Austausch, die Begegnung in Güte und Gerechtigkeit das menschliche Miteinander bestimmen.

Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich, moderiert vom Leiter des Emil-Frank-Instituts Prof. Gradl, eine lebhafte Diskussion mit dem Publikum, bei der Prof. Khorchide auf einige Aspekte seiner Ausführungen detaillierter einging. Auch über die Thematik hinausreichende Fragestellungen wurden dabei aufgegriffen und eingehend berücksichtigt.

Text: N. Uder
Fotos: L. Bößling (Paulinus), K. Wahl