Erneut lud der Vizerektor der Theologischen Fakultät Granada und Inhaber des Andalusischen Lehrstuhls für den interreligiösen Dialog (CANDIR), Prof. Dr. José Luis Sanchez Nogales, zu einer Tagung nach Granada. Für das Emil-Frank-Institut nahm Michael Ternes an der Tagung teil.

Diese Zusammenkunft richtete den Blick auf die religiösen Minderheiten Spaniens. Vertreter der jüdischen Gemeinschaft, der Anglikanischen Kirche und der Muslime präsentierten jeweils die Situation ihrer Glaubensgemeinschaft. Seit dem frühen Mittelalter ist Spanien Begegnungsort der drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Ganz unterschiedlich gewertet spricht man mal von bereicherndem Zusammenleben, dann aber auch von einer hauptsächlich Konflikt geladenen Geschichte.

Der Sinn der Tagung bestand darin, aus katholischer Sicht zu erfahren, wie sich die Situation der religiösen Minderheiten gestaltet. Wer an Spanien denkt, wird im gleichen Zuge an die katholische Kirche denken. Unter den Bedingungen dieser Mehrheit gestaltet sich das Leben der andersgläubigen Spanier, Einwanderer und zeitweise dort Lebender.  Alle Redner arbeiten im Rahmen unterschiedlicher Aktivitäten an einem bedeutenden Ziel dieser Zeit: Sie bereiten Orte der Begegnung der Religionen und Konfessionen, an denen offen über die Differenzen gesprochen werden kann, ohne bloß dem Ziel zu folgen, alles gleichzumachen. Differenzen sind Spiegel der menschlichen Vielfalt. Um diese Differenzen tragen und als Bereicherung erfahren zu können, sei überdies die Gewissheit um fundamentale Gemeinsamkeiten wichtig.
 
Prof. Dr. Serafin Manuel Bejar, Frau Dr. Dalia Levinsohn, Dr. Eliseo Vila, Dr. Riay Tatary Bakry (v.l.n.r.)

 

Im Einzelnen:
Dr. Eliseo Vila, Repräsentant der Anglikanischen Kirche, analysierte aus historisch-struktureller Perspektive. Er sprach von 2 Reformationen Spaniens. Die erste Reformation wurde mit der im 16. Jahrhundert einsetzenden Inquisition nahezu revidiert. Anhänger Luthers, die auch Spanien erreicht hatten, wurden vertrieben oder getötet, so sie nicht konvertierten. Der eigentliche Beginn einer protestantischen Präsenz in Spanien liegt nach Vila im 19. Jahrhundert. Dabei unterschied er zwischen den historischen (traditionellen) Kirchen (Anglikaner, Lutheraner etc.), den evangelikalen Kirchen (Baptisten, Freikirchen etc.) und den charismatischen Erneuerungsbewegungen, wie etwa den Pfingstgemeinden. 1986 wurde eine Versammlung dieser drei Gruppen begründet, über die Staat und Mitglieder der Versammlung ihre Kooperation koordinieren. Dabei trägt diese Organisation allerdings in sich nicht eine innere Autorität, wie etwa die Versammlung der Bischofskonferenz, versucht aber den etwa 1,2 Mio. Mitgliedern evangelischer Kirchen und ihrer 2134 Gemeinden übergreifend ein Gesicht zu verleihen.


Der zweite Redner, Dr. Riay Tatary Bakry, Präsident der Union der islamischen Gemeinschaften Spaniens (UCIE), nutzte den Einstieg, um die Geschlossenheit der muslimischen Gemeinde in den grundlegenden Glaubensfragen zu unterstreichen - bei aller bleibenden Varianz der Antworten auf Einzelfragen. Am 28.04.11 seien feierlich 13 Jahrhunderte Al-Andalus gefeiert worden in dem Sinne, dass man mehr gemeinsam als getrennt gelebt habe. Diese Theorie ist sicher Ausdruck einer Hoffnung, spiegelt aber auch das herzliche Bemühen einiger wider, die nach Jahrhunderten konfliktreicher Begegnung der Religionen in Gegenwart und Zukunft ein friedliches und zugleich aufrichtiges Miteinander gestalten möchten. Die Mehrheit der Muslime Spaniens wird durch marokkanische Einwanderer (etwa 50 %) gebildet und spanische Muslime (etwa 25 %). Die meisten Muslime verteilen sich in dieser Rangordnung auf Katalonien, Andalusien, Madrid und Valencia. Aktuell sind etwa 30 % der Muslime eingebürgert, haben also die spanische Nationalität angenommen. Der Union de la Comunidad islamica de España (UCIE) werden zurzeit etwa 65% der Muslime zugerechnet. In Deutschland sind nur etwa 10% der Muslime Mitglieder der unterschiedlichen Organisationen der Muslime und somit durch diese repräsentiert. Die Situation Spaniens und Deutschlands ist unterschiedlich. In Deutschland gebe der Staat zu sehr vor, wer Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz werden könne. Zudem verpflichte er zu sehr auf Themen, die den Staat interessierten, für die Gemeinden aber nicht relevant seien, so Bakry. Was Deutschland und Spanien aber gemein sei, das sei das Kreisen um die Themen der Staatssicherheit und der Anerkennung der Muslime. Aber in Spanien organisierten sich die Muslime aus eigenem Antrieb und ohne Vorgaben des Staates. Der Staat helfe nicht finanziell. Als Kooperationsprojekte zwischen Staat und muslimischen Gemeinden könne man etwa die „Fundación de Pluralismo y Convivencia“ (Stiftung für Pluralismus und Zusammenleben) sehen, die eine Initiative des Justizministeriums darstelle, die Sozial- und Integrationsprojekte verfolge. An der Rede Bakrys zeigt sich etwas Typisches: Man findet, wie etwa in ihm, engagierte Persönlichkeiten, die das friedliche Potential der Religionen entwickeln wollen. Die Feier der 13 Jahrhunderte Al-Andalus stellt aber gleichzeitig für viele Spanier einen Affront dar, da sich hinter diesem Wort doch auch die Forderung radikaler Muslime finden lässt, Spanien erneut als muslimische Besetzung zu definieren. Dennoch, die Worte und viel gewürdigten Initiativen des Präsidenten der UCIE sollten Mut dazu geben, interreligiöse und interkulturelle Begegnung zukünftig friedlich geschehen lassen zu können.

Frau Dr. Dalia Lenvinsohn, vormalig Generalsekretärin des Bundes der jüdischen Gemeinden Spaniens (Federación de Comunidades judías de España), sprach für die kleinste religiöse Gruppe Spaniens. Kurze Zeit nach der Reconquista Spaniens 1492 durch die Katholischen Könige setzte die gewaltsame Inquisition ein, die dazu führte, dass es für etwa 500 Jahre keine aktiven Juden, bzw. kein öffentliches jüdisches Leben  in Spanien gab. Ab etwa 1907 trafen die ersten jüdischen Nachfahren der einst vertriebenen Juden, mehrheitlich aus der Türkei, in Spanien ein. 1918 entstand in Barcelona die erste „Comunidad de Israelitas“ (Israel Gemeinde), in Madrid 1919 die zweite. Man vermied das Wort“ jüdisch“, da man dies zu stark mit der Vertreibung der vergangenen Jahrhunderte in Verbindung brachte. Levinsohn unterstrich, dass die Verwendung des Wortes „Jude“ heute oft als eine rassische Bezeichnung fehlinterpretiert werde. Jude bezeichne nicht eine Rasse, sondern sei vielmehr das Wort, was man heute für die verwende, die sich ursprünglich als Hebräer, dann als Israeliten und schlussendlich als Juden bezeichneten.  Die „Rückwanderung“ geschah in mehreren kleineren Wellen ab 1907, dann wieder ab 1927 aus der Türkei und Jugoslawien, dann zur Zeit des 2. Weltkrieges und eine weitere Welle aus Marokko ab dem Jahr 1956. Jene remigrierten Nachfahren bezeichnet man im Spanischen als sefardies. Ab etwa 1980 trafen jüdische Familien ein, die nach Argentinien geflohen waren. Levinsohn hob hervor, wie schwer anfänglich die Organisation der Gemeinden war, vor allem als ab den 90er Jahren die askenaries, die aus Osteuropa nach Südamerika geflohenen Juden, die eher reformerisch gesinnt waren, auf die traditionell-orthodoxen Juden der schon konstituierten Gemeinden trafen. Vor diesen internen Problemen gab es jene, die durch die späte Erklärung der Religionsfreiheit in  Spanien (1980) vorlagen. So erhielten die Juden zwar ab 1946 das Recht, sich in kleinen Gruppen zu organisieren, mussten aber bei Kleingruppen ab zehn Personen einen Sonderantrag stellen. Für die jüdischen Gemeindegebete bedeutete dies eine Genehmigung für jeden Gottesdienst. Erst im Jahr 1995 wurde jegliche Form von Antisemitismus als illegal verurteilt. Aktuelle sind die jüdischen Gemeinden im Register religiöser Gemeinschaften Spaniens verzeichnet, organisieren sich intern demokratisch und die durch einen Rabbiner bestätigte Eheschließung wird zivilrechtlich anerkannt.

Oscar Salguero Montaño präsentierte die von ihm geleitete Untersuchung der Anthropologischen Abteilung der Universität Granada (Departamento de Antropología), nach der die religiöse Pluralität Andalusiens in den letzten wenigen Jahren extrem zugenommen habe. Besonders die Vielzahl der evangelischen Freikirchen steige. Auch er unterstrich, dass die Vielzahl der religiösen Gruppen im 19. Jahrhundert Einzug gehalten habe und sich vor diesem Hintergrund aktuelle Herausforderungen gestalten.