„Interreligiöser Dialog als Chance zur Lösung aktueller Krisen?“
Im Rahmen der Vortragsreihe des Emil-Frank-Instituts über "Chancen und Schwierigkeiten eines interreligiösen Dialogs"
Den Abschlussvortrag zur interreligiösen Vortragsreihe hielt RA Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, am 23.02.2016 in der Promotionsaula des Bischöflichen Priesterseminars Trier.
Gleich zu Anfang betonte Herr Botmann, dass er sich der obigen Fragestellung seines Vortrags nicht als Rechtsanwalt, sondern als „Fragender, Suchender und Forschender“ nähern wolle. Er berichtete von der Geschichte der Juden in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beginnend mit der Gründung erster Gemeinden bis hin zur Organisation und der Arbeit des Zentralrats der Juden.
Dass heute 108 000 jüdische Menschen in Deutschland leben, bezeichnete er als ein Wunder. Niemand habe geglaubt, dass das „Leben im Land der Täter“ von langer Dauer sei. Jüdisches Leben jedoch habe sich etabliert, die Integration der zweiten und dritten Generation der ursprünglich aus der ehemaligen Sowjetunion Zugewanderten sei geglückt und dennoch habe der Antisemitismus leider an Aktualität nicht verloren.
Würde man heute eine Umfrage starten, mit welchen Ängsten bzw. Krisen sich die Menschen unserer Gesellschaft konfrontiert sehen, käme wohl eine Vielzahl an Antworten: die Flüchtlingskrise, die Eurokrise, der Krieg im Nahen und Mittleren Osten, die Angst vor dem IS, Ängste vor dem Islam… All diese Ängste böten rechtsextremen bzw. rechtsterroristischen Strukturen einen Nährboden, ihren Hass zu säen, der sich in Hetze, Bedrohung von Minderheiten, menschenverachtenden Aktionen, Anschlägen auf Gotteshäuser und Flüchtlingsheime entlade. Gemeinsam müsse man diesen „Menschenfeinden“ entgegentreten und miteinander für demokratische Werte einstehen. Dabei sei Religion eine wesentliche gesellschaftspolitische Kraft.
Der interreligiöse Dialog könne sehr wohl zur Lösung aktueller Krisen beitragen, da durch ihn gewisse Werte wie Gerechtigkeit, Respekt und Toleranz in die Gesellschaft eindringen. Zu einem interreligiösen Dialog gehöre darüber hinaus immer auch die Eigenreflexion. Nur wer eine gefestigte Identität habe und sich seiner „Wurzeln“ gewiss sei, wäre bereit für die Begegnung und Auseinandersetzung mit dem „Anderen“ oder „Fremden“. So wecke der interreligiöse Dialog sowohl die Neugier auf sich selbst als auch die Neugier auf den Dialogpartner, da man sich durch den jeweils Anderen erst wirklich kennenlerne. Man lerne einerseits, sich vertrauensvoll zu begegnen ohne den Anderen zu vereinnahmen und andererseits Differenzen, die durchaus auftreten können, auszuhalten und zu überwinden.
Hinsichtlich des christlich-jüdischen Dialogs habe das Konzilsdokument "Nostra Aetate" den Grundstein zur Aussöhnung gelegt. Zwei zentrale Aussagen wurden darin festgehalten: erstens die Verurteilung des Antisemitismus und damit einhergehend ein Schuldeingeständnis christlicherseits und zweitens das Hochhalten der christlichen Wurzeln im Judentum. Ohne den Meilenstein Nostra Aetate wäre ein interreligiöser Dialog und eine Begegnung auf Augenhöhe niemals denkbar gewesen.
Auch das Verhältnis zum Islam wurde durch genanntes Dokument auf ein neues Fundament gestellt. Doch mache die innermuslimische Auseinandersetzung um die Identität und die kaum vorhandene institutionelle Organisation der verschiedenen muslimischen Glaubensrichtungen den interreligiösen Dialog nicht nur für christliche, sondern auch für jüdische Gesprächssuchende schwierig. Für den Islam gäbe es keinen Ansprechpartner auf Bundes- oder Lokalebene, der offiziell für den gesamten Islam sprechen könne. Ebenso seien nur wenige fachlich ausgebildete islamische Theologen greifbar. Laut Herrn Botmann müsse daher in Zukunft eine theologische Ausbildung und in Schulen ein islamischer Religionsunterricht in Deutschland gewährleistet werden, damit ein langfristig fruchtbarer interreligiöser Dialog entstehen könne.
Eine sich an den Vortrag anschließende, lebhafte Frage- und Diskussionsrunde bildete dann den Abschluss der interreligiösen Vortragsreihe, bei der sich Daniel Botmann kritischen und zum Teil provokanten Fragen und Äußerungen stellte und souverän Stellung bezog. Die rund 120 interessierten Besucher dankten es ihm mit lang anhaltendem Beifall.